Kennen Sie USE-IT? Es ist Ihnen bestimmt schon das ein oder andere Mal auf Reisen begegnet. Karten in Papierform, die einen Stadtplan inklusive Tipps und Empfehlungen von Einheimischen beinhalten.
Wir haben mit Nicolas von USE-IT gesprochen, um herauszufinden, was seine Intention hinter diesem Projekt war und was Destinationen und Touren- und Aktivitäten-Anbieter von seinem Ansatz lernen können:
Kannst du uns kurz etwas zu deiner Rolle bei USE-IT sagen und seit wann du dabei bist?
Ich bin Redaktionsleiter und arbeite seit 2004 für USE-IT.
Auf eurer Webseite schreibt ihr:
USE-IT steht für "keine Nonsens touristischen Informationen für junge Leute"
Somit verfolgt USE-IT einen anderen Ansatz, eine Destination und regionalen Angebote zu erleben - kannst du etwas detaillierter beschreiben, wofür USE-IT steht und was eure Intention ist?
Eine lange Frage mit einer kurzen Antwort: Ehrlichkeit.
Junge Leute wählen hunderte von Bars, Restaurants und Sehenswürdigkeiten aus und stellen diese auf einer handlichen Karte zusammen. Keiner zahlt dafür, auf einer USE-IT Karte gelistet zu sein, die Einheimischen entscheiden darüber. Sehr viel dieser Arbeit (meiner Meinung nach zu viel) wird auf ehrenamtlicher Basis geleistet, inklusive einem Budget fürs Drucken, was meist von der Stadt gestellt wird.
USE-IT wurde 1971 gegründet und ist aktuell in über 40 Städten/ Regionen vertreten. Ist dir ein wachsendes Interesse an mehr authentischen und echten Erlebnissen die letzten Jahre aufgefallen? Woran machst du es fest?
Informationen für Touristen haben sich im letzten Jahrhundert enorm weiterentwickelt. Die ersten deutschen Reiseführer (Baedeker, im späten 19. Jahrhundert) wurden von Historikern für eine ausgewählte Elite geschrieben. Während der Hippie-Zeit haben dies Reisejournalisten übernommen. Reiseführer wie Lonely Planet haben einen Ansatz für junge Backpackers gewählt, der auf sinnvollen Informationen und Low Budget basiert.
Mit dem Wachstum der Tourismusbranche haben verstärkt Vermarkter Einfluss genommen, sodass viele Hochglanz-Broschüren über die besten Städte der Welt erschienen sind. Junge Leute kaufen das aber nicht, und user generated Content hat begonnen eine Lücke zu füllen. Das typische Beispiel ist TripAdvisor, wo Reisende andere Reisende informieren.
Ein wichtiger Schritt ist es, Einheimische zu involvieren. Keine Historiker, keine Journalisten, keine anderen Reisenden, sondern Einheimische. Denn sie leben dort! USE-IT ist Teil dieser Entwicklung, aber wir sind nicht die einzigen. Denken Sie nur an Couchsurfing, Airbnb, das Greeter Netzwerk und viele Webseiten & Apps, die Sie einladen, mit Einheimischen zu essen, spazieren zu gehen oder zu feiern.
Hast du Zahlen/Statistiken, wie viele Karten ihr verteilt und wie viele junge Leute die Karten verwenden (welche Städte/Regionen sind am gefragtesten, etc.)?
Die Zahl der Karten variiert in allen Städten: 20.000 pro Jahr für kleinere Städte bis hin zu 180.000 pro Jahr für Vorzeigestädte wie Brüssel.
Wie können deiner Meinung nach Reisende eine Stadt nicht als Tourist, sondern aus Perspektive eines Einheimischen erleben?
Indem sie den Selfie-Stick fallen lassen. Sich weiter vom Stadtzentrum wegbewegen. Indem sie nicht in ein Restaurant gehen, das mit "lokalen Spezialitäten" wirbt und wo der Kellner sie reinlockt. Indem sie in der Metro sich mit jemandem unterhalten. Oder indem man unsere Karten nutzt.
Kannst du eure Zielgruppe genauer beschreiben? Wen wollt ihr mit euren Karten ansprechen?
Unsere Zielgruppe sind Reisende zwischen 18-25 Jahre, die alleine reisen, keine Schulgruppen, Familien oder Geschäftsreisende. Wir haben festgestellt, dass auch viele um die 30 unsere Karten mögen, aber wir nennen sowieso nie teure Restaurants oder 5 Sterne-Hotels.
Der heutige Reisende hat sich verändert. Millennials wollen eine Stadt/ Region von einer lokaleren Perspektive erleben. Jeder sucht nach "dem besten Reise-Erlebnis abseits der ausgetretenen Touristenpfade". Was denkst du über diese aktuelle Bewegung?
Interessante Frage. Es hat etwas Widersprüchliches. Wenn man unbedingt in einem Restaurant essen möchte "wo kein Tourist je zuvor gewesen ist", dann ruinieren Sie es, sobald Sie da Lokal betreten. Insbesondere Westliche Reisende sind geradezu besessen von Authentizität, wohingegen asiatische Reisende viel ehrlicher sind mit ihrer stereotypischen Art des Reisens: Sehenswürdigkeiten besuchen und ein Foto machen.
Am Ende glaube ich sind diese Mainstream-Reisenden weniger enttäuscht, weil es einfacher ist, die Suche nach einem guten Selfie, zu befriedigen. Wenn Sie immer nach Steinen suchen, die Sie umdrehen können, sind irgendwann keine Steine mehr übrig. Um es auf den Punkt zu bringen, ich würde nie anders reisen wollen als in Interaktion mit Einheimischen. Denken Sie daran, Tourist zu sein, ist nichts Schlechtes.
Ihr legt die Karten in Hostels und Tourist-Informationen aus. Gibt es noch weitere Vertriebskanäle? Und wie schauen diese Kooperationen aus, was müssen interessierte Leute machen, um ebenso eine USE-IT-Karte in ihrer Stadt/Region einzuführen?
Wir verteilen sie auch in Willkommens-Pakete für Austausch-Studenten und viele Couchsurfing- oder Airbnb-Gastgeber nutzen ebenso die Karten. Das liegt daran, dass sie sehr nah an unserer Philosophie arbeiten: Lokales für Reisende.
Die Initiative für neue Karten kommt von jungen Einheimischen. Das ist das Gute daran: wir haben keine Strategie, wie es genau beginnt. Wenn du deine Stadt liebst und ein Budget auftreiben kann, bist du schon dabei. Viele fragen, warum Paris nicht Teil unseres Netzwerks ist. Es liegt daran, dass die lokalen Ehrenamtlichen noch nicht das Budget beisammenhaben. Auch, weil Paris nichts mehr beweisen muss. Wir haben somit ein Netzwerk von bekannten Städten und Städte, von denen noch nie jemand gehört hat. Wir lieben es so!
Wo liegen deiner Meinung nach die Unterschiede zwischen einer Standard-Tour und dem, was ihr in euren Karten anbietet?
Ich kann nur wieder mit "Ehrlichkeit" antworten. Lesen Sie "was Einheimische machen" auf einer unserer Karten und Sie können den Unterschied spüren. Hier erklären wir lokale Kuss-Praktiken, Kinderlieder, die jeder kennt, oder böse Wörter, die sie besser nicht verwenden sollten.
In unserer Umfrage fragten wir, was sie am meisten an unseren Karten weiterempfehlen würden. Viele antworteten ähnlich wie hier: "Ein paar Hintegrund-Informationen und portugiesische Umgangssprache, mit denen ich ein Lächeln auf das Gesicht des Barkeepers zaubern konnte". Wir nehmen das als großes Kompliment.
Was sollten die Angebot eurer Karten genau bieten? Gibt es bestimmte Kriterien, oder ist jedes Angebot eines lokalen Aktivitäten-Anbieters oder Restaurants willkommen?
Ich beantworte die Frage mit unserem Styleguide. Sollten wir alles nennen? NEIN. Das ist unmöglich und die Leute suchen nach einer guten Auswahl anstatt einer Enzyklopädie. 50 Orte sind zu wenig, 100 mehr als genug. Aber wie entscheidet man sich, wenn es so viele tolle Plätze gibt? Hier ein paar Fragen, die bei der Entscheidung helfen:
- Ist es einmalig?
- Hat es nationalen Symbol-Charakter?
- Ist es eine der vielen Sehenswürdigkeiten, die in jedem Führer aufgelistet sind?
- Kennt es jeder Einheimische?
- Ist es günstig und zentral?
- Ist es besser als eine andere ähnliche Sache in der Stadt?
- Ist es ein Platz, den man nicht bemerkt hätte, wenn es USE-IT nicht gäbe?
- Ist es Etwas, das nie in einem Touristenführer stehen würde?
- Ist es Etwas, worüber jeder Einheimische letztes Jahr geredet hat?
- Ist es neu und wird bestimmt ein großer Hit im kommenden Jahr?
- Ist es ein einmaliger Ort für ein spezielles Publikum (Vegetarier, Schwule/Lesben, Metall-Fans...)?
Wenn die Antwort auf eine oder mehrere dieser Fragen ja ist, solltest du es womöglich auswählen.
Du beschäftigst dich nun seit langer Zeit mit der Gemeinschaft und den Vorteilen der empfohlenen Angebote. Welchen Rat kannst du beiden Seiten mitgeben - DMOs/DMCs und lokalen Touren- und Aktivitäten-Anbietern - Angebote anzubieten, die vom heutigen Reisenden nachgefragt werden?
Sie sollten akzeptieren, dass es unmöglich ist, eine Destination als den besten Platz der Welt zu vermarkten, wo alles möglich ist.
"Wenn man Tourismus-Konferenzen besucht gibt es immer Präsentationen darüber, wie wichtig Ehrlichkeit ist und wie sehr die Menschen Echtheit & Erlebnis schätzen. Aber in der Praxis gibt es zu viele Vermarkter und Tourismusleiter, die die Realität nicht akzeptieren können."
Wenn wir auf der Karte von Brüssel sagen "Brüssel ist hässlich und wir lieben es", dann sollte man das als Kompliment sehen.
Unterscheiden Sie die Zielgruppen. Jeder weiß es, nur wenige machen es. Ich sehe immer noch viele Tourismus-Broschüren mit einem allgemeinen Angebot für jeden nach dem Motto der Neutralität. Aber wenn es für jedermann, ist es für niemanden. Entwickeln Sie unterschiedliche Angebote für unterschiedliche Zielgruppen. Es wird niemals objektiv sein, aber etwas, das funktioniert. Oder lassen Sie USE-IT es für Sie erledigen.
Was sind zukünftige Herausforderungen in der Tourismusbranche im Allgemeinen und speziell für den Städtetourismus, mit denen ihr euch bei USE-IT ebenfalls beschäftigen müsst?
Für die Tourismusbranche: Sich mit dem wahren Leben der Einheimischen beschäftigen. Investieren Sie in nachhaltiges Reisen. Akzeptieren Sie, dass Airbnb so beliebt ist, weil Einheimische dort eigentlich wohnen. Viele Hostels haben das verstanden und suchen die Interaktion mit Einheimischen, aber viele Hotels eben nicht.
Für USE-IT ist die größte Herausforderung Kontinuität. Als Netzwerk müssen wir noch stärker werden. Unsere Stärke ist gleichzeitig unsere Schwäche: Keiner zahlt dafür, auf unseren Karten vertreten zu sein, deswegen basiert jedes Projekt auf lokaler Finanzierung. Jedes Jahr verlieren wir Karten, da die Stadt aufhört, das Projekt zu unterstützen. In unserer Studie kann man sehen, dass unsere Karten einen Marketing- und Wirtschaftseffekt haben, aber es ist immer noch ein langer Weg. Für diejenigen, die wissen wollen, ob USE-IT einen guten ROI (Return on investment) bietet, lesen Sie hier weiter.
Vielen Dank für das Interview, Nicolas!